Natalie

Über Herkunft, Handwerk und Zuhause

Ich bin Nathalie, aufgewachsen in Hamburg mit einer deutschen Mutter und einem iranischen Vater. Ich habe Modedesign studiert und arbeite heute in der Oper. Alles, was mit Körper, Stoffen und Licht zu tun hat, fasziniert mich. Jedes Mal, wenn ich im Iran bin, suche ich nach alten Handwerkstechniken – natürlichen Färbemitteln, Muster, die Geschichten erzählen, Symbole, die über Generationen weitergegeben wurden. Ich baue mir mit jeder Reise meine eigene kleine Bibliothek aus Wissen.

Erinnerungen an Kindheit und Orte

Unsere Wohnung in Hamburg lag in der Nähe des Flughafens. Als Kind kam sie mir riesig vor, aber als ich als Erwachsene zurückkehrte, merkte ich, dass es nur 65 Quadratmeter waren. Trotzdem war sie immer voller Menschen. Mein Vater war jemand, der aus wenig viel machen konnte – wenn wir kein Bingospiel hatten, nahm er einfach Zuckerwürfel als Spielsteine. Diese Art der Kreativität zog sich durch meine ganze Kindheit.

Im Iran war es anders – wir lebten im Haus meiner Großmutter, einem dreistöckigen Gebäude mit einem kleinen Innenhof und einem Wasserbecken. Es gab streunende Katzen, die einfach blieben. Die Küche war das Herz des Hauses, immer voll, immer in Bewegung. Anders als in Deutschland trug meine Mutter dort weniger Verantwortung, sie konnte Dinge abgeben. Mein Vater blühte auf – er kannte jeden auf der Straße, grüßte, unterhielt sich, aß Orangen in kleinen Läden. Gemeinschaft war selbstverständlicher. Aber das bedeutete auch weniger Privatsphäre – eine Tür, die sich nie wirklich schloss.

Fremdsein und Zugehörigkeit

Als ich vier Jahre alt war, lebte meine Familie für eine Weile im Iran. Ich war umgeben von Familie – Onkeln, Cousins, meiner neugeborenen Schwester. Ich fühlte mich komplett zugehörig. Als wir nach Deutschland zurückkamen, war da plötzlich eine Leere. Die Alltagswärme, das Chaos, die ständige Bewegung fehlten. Die Familien meiner Schulfreunde wirkten ruhiger, organisierter. Doch ich fühlte mich glücklich mit meiner eigenen, lauten und bunten Familie, in der nie etwas langweilig war.

Was bedeutet Zuhause?

Zuhause ist für mich kein Ort, sondern Menschen. Es ist, gemeinsam zu essen, zusammen zu sitzen, einander Wärme zu geben. Zuhause ist, morgens in die Küche zu kommen und zu wissen: Da ist jemand, der dich wahrnimmt. Es ist ein Gefühl, keine Adresse.

Bürokratische Hürden

Die größte Absurdität erlebte ich, als mein Mann ein Besuchsvisum für Deutschland beantragte. Er erfüllte alle Anforderungen, zahlte hohe Gebühren für beglaubigte Dokumente – ein kleines Vermögen im Iran. Trotzdem wurde sein Antrag nach monatelangem Warten abgelehnt. Selbst ein Einspruch, unterstützt von einer Richterin, hatte keinen Erfolg. Mir wurde klar: Es geht nicht um Regeln, sondern um Herkunft. Wer aus einem „falschen“ Land kommt, hat schlechte Karten.

Die Willkür in solchen Entscheidungen macht wütend. Wieso muss ein junger Mensch nachweisen, dass er ein Haus besitzt, nur um eine touristische Einreisegenehmigung zu bekommen? Und warum betrifft das nur bestimmte Länder? Bürokratie fühlt sich an wie ein Wurm – langsam, überall, endlos teilbar. Sie frisst Zeit und Hoffnung.

Über Staatsbürgerschaft und Grenzen

Die Idee von Staatsbürgerschaft finde ich bizarr.

Sie ist nichts weiter als ein Zufall. Ein politisches Konstrukt, das bestimmt, wie frei du dich bewegen kannst. Einige können überall hinreisen, andere nur

in ein Dutzend Länder. Und die Spaltung nimmt zu.

Dabei wäre es so einfach, diese Mauern abzubauen. Aber stattdessen reden wir immer mehr darüber, wer bleiben darf – als wäre das die drängendste Frage unserer Zeit.

Im Alltag versuche ich, das auszublenden. Aber manchmal überkommt mich dieses Gefühl der Machtlosigkeit. Gerade jetzt, wo Debatten sich fast nur noch darum drehen, Migration einzuschränken. Als wäre das das größte Problem der Welt. Dabei gibt es so viel Wichtigeres zu besprechen.

Heute, hier und jetzt

Ich habe Glück – ich lebe in einem Viertel, das sehr lebendig und offen ist. Meine Nachbarn helfen sich gegenseitig, wir bringen uns Essen vorbei, achten aufeinander. Das ist neu für mich. Zum ersten Mal seitdem ich alleine lebe, habe ich eine Nachbarin, die ich wirklich kenne. Und ich freue mich jedes Mal, wenn ich sie sehe. Vielleicht ist das Zuhause: ein Ort, an dem Menschen sich umeinander kümmern.