Anja

Über Kindheit, Verlust und Zugehörigkeit

Mein Name ist Anja, ich bin 18 Jahre alt und studiere Kulturwissenschaften. In Zukunft möchte ich Schauspiel studieren.

Erinnerungen an die Kindheit

Der Duft von frisch gepflückten weißen Äpfeln, das Gefühl eines sommerlichen Abends – das ist für mich die Kindheit. Ich bin in Donezk aufgewachsen, umgeben von meiner Familie. Silvester war für mich voller Magie: Orangenduft, das Klingen der Gläser, Schneeflocken aus Papier. Ich erinnere mich oft daran, aber ich weiß, dass ich dieses Gefühl nie mehr genau so erleben werde.

Fremdsein und Ankommen

Das erste Mal fremd fühlte ich mich nach meiner Migration nach Deutschland. Ich wollte neue Bekanntschaften machen, doch meine Versuche scheiterten – vielleicht wegen der Sprache, vielleicht, weil ich nicht von hier bin. Ich fühlte mich ausgeschlossen. Irgendwann habe ich doch neue Menschen kennengelernt, und einer von ihnen wurde sogar mein Partner. Es war ein Moment der Erleichterung: Ich bin nicht unsichtbar.

Der Verlust eines Zuhauses

Ich wollte lange in die Ukraine zurück, an den Ort, an dem ich glücklich war. Doch der Krieg hat mein Zuhause zerstört. Ich fühlte mich entwurzelt, als hätte ich keinen Ort mehr, an den ich gehöre. Doch mit der Zeit habe ich verstanden: Zuhause sind nicht Orte, sondern Menschen. Es sind tiefe Gespräche, spontanes Lachen, Umarmungen. Und das kann überall sein.

Deutschland als neues Zuhause

Hier sind Menschen distanzierter. In der Ukraine setzt sich jemand einfach neben dich und beginnt ein Gespräch. Sprachlich fühle ich mich unsicher, das erschwert den Alltag. Ich verstehe nicht immer alles, kann nicht immer antworten. Das macht es schwer, Teil der Gesellschaft zu sein.

Bürokratie – Warten, Warten, Warten

Jede Kleinigkeit dauert ewig. Termine, Warteschlangen, unendliche Verzögerungen. Es fühlt sich an wie eine Prüfung der Geduld.

Wenn Bürokratie ein Tier wäre…

Ein Faultier – langsam, ohne Eile. Oder eine Raupe, die ewig in ihrem Kokon bleibt, bis sie endlich in eine neue Phase übergeht.

Ein Pass als Papier, nicht als Identität

Ein ukrainischer Pass bedeutet für mich Heimat, meine Kindheit. Aber wenn ich eine andere Staatsbürgerschaft hätte, wäre das nur ein Dokument. Ich wäre trotzdem dieselbe Anja – mit denselben Träumen.

Pläne für die Zukunft

Mein größtes Ziel ist es, Deutsch zu lernen. Ich will C1 erreichen und an einer deutschen Universität studieren. Ich weiß, dass mir das neue Wege eröffnen wird. Und dafür arbeite ich jeden Tag.

*Das Interview wurde in russischer Sprache geführt.